In diesem Beitrag finden Sie das Interview mit Prof. Dr. Walter Arnold vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien zum Thema:

Rotwild
Populationsdynamik

Jagdfakten.at: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Walter Arnold, Sie sind einer der führenden Köpfe auf dem Gebiet der Wildtierökologie und Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. In einer jüngst erschienenen Studie haben Sie interessante Erkenntnisse zur Populationsdynamik unseres heimischen Rotwildes gewonnen. Was können Sie mir zu dieser Studie erzählen?

Prof. Dr. Walter Arnold

Prof. Arnold: 

Im Auftrag des Niederösterreichischen Landesjagdverbandes haben wir untersucht, ob sich bei Rotwild die Dichte und Altersstruktur eines Bestandes auf das Geschlechterverhältnis des Nachwuchses auswirkt, denn es fiel auf, dass in manchen Gebieten Niederösterreichs deutlich mehr Wildkälber als Hirschkälber erlegt werden.

Für die Studie verwendeten wir die Abschuss- und Fallwildzahlen der Zeitspanne von 2004-2015, in den letzten 3 Jahren auch mit Gewichtsangaben zu erlegten Stücken.

Prof. Dr. rer.nat. Walter Arnold, Leiter des Forschungsinstitutes für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien (c) Walter Arnold

Jagdfakten.at: Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Prof. Arnold: Wir fanden einen starken Zusammenhang des Geschlechterverhältnisses bei den Kälbern mit der Dichte eines Bestandes. Je höher der auf einer Untersuchungsfläche war, desto geringer war der Anteil an Hirschkälbern. Darüber hinaus spielt auch die Altersstruktur eine Rolle: Je höher der Anteil an Alttieren in einem Bestand war, desto höher war der Anteil der Hirschkälber.

Neben der Kondition von Muttertieren scheinen beim Rothirsch auch die Väter Einfluss auf das Geschlecht der von ihnen gezeugten Nachkommen zu haben. In einem Experiment befruchteten spanische Forscher Rotwildtiere künstlich und erzeugten umso wahrscheinlicher ein männliches Kalb, je stärker das Geweih des Hirsches war, von dem der Samen gewonnen wurde. Unsere Ergebnisse deuten erstmals darauf hin, dass ein solcher Effekt auch bei Rotwild in freier Wildbahn existiert, denn unabhängig vom Einfluss der Bestandesdichte und der Altersstruktur bei den weiblichen Stücken fanden wir in den niederösterreichischen Revieren einen umso höheren Anteil an männlichen Tieren unter den Kälbern, je mehr 1er Hirsche in einem Bestand waren.

Jagdfakten.at: Also Ihre Ausführungen sind sehr interessant und aufschlussreich, aber was bedeutet das für die Populationsdynamik und die Jagd?

Prof. Arnold: Wildbestände werden über das weibliche Wild reguliert, denn je mehr weibliche Tiere es gibt, desto höher ist auch die Anzahl der Jungtiere im nächsten Jahr. Werden nun vermehrt Wildkälber geboren, erhöht sich das Wachstumspotential des Bestandes. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, d.h. den Anteil an Hirschkälbern anzuheben und das Populationswachstum somit abzuschwächen, ist es erforderlich, die Rotwilddichte zu reduzieren und ein ausgewogenes Alters- und Geschlechterstruktur zu erreichen.

Die Bestände von Rotwild nehmen in vielen Gebieten Österreichs wie auch in Deutschland und der Schweiz seit Jahrzehnten stetig zu. Dies birgt Risiken, wie steigende Wildschäden, vermehrte Wildunfälle im Straßenverkehr oder auch eine schnellere Verbreitung von Wildkrankheiten. Für die Jagd bedeutet dies mit einer konsequenten Reduktion vor allem des weiblichen Wildes den Zuwachs einzudämmen und eine Verschiebung des Geschlechterverhältnisses zum weiblichen Wild zu verhindern. Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine solche Reduktion sich zudem positiv auf das Wildbretgewicht auswirken wird. Das männliche Rotwild sollte so bejagt werden, dass es eine ausreichend große Zahl starker Hirsche die Klasse 1 erreicht.

Jagdfakten.at: Den Jägerinnen und Jägern wird allzu oft nachgesagt nur nach Trophäen zu schauen. Dies beträfe genau die von Ihnen angesprochene zu schonende Altersklasse der starken Geweihträger. Nun gibt es ja jedoch strikte Abschusspläne für das Rotwild wie auch für andere Wildarten. Hier werden Anzahl und Altersklasse der zu erlegenden Tiere von der jeweiligen Behörde festgelegt. Wir haben uns diese Zahlen angesehen: In den vergangenen 12 Jahren wurden beispielsweise in Niederösterreich jährlich zwischen 7000 und 9000 Stück Rotwild erlegt.  Lediglich etwa 25 Prozent davon waren Trophäenträger, gerade mal 4-6 Prozent aus der angesprochenen Klasse der mittelalten und alten Hirsche.  Dem gegenüber waren etwa 75 Prozent des Abschusses weibliche Tiere (41 %) und Jungtiere beiderlei Geschlechts (34 %). Das heißt, Trophäenträger und insbesondere ältere Hirsche nehmen bereits jetzt nur einen sehr geringen Anteil der erlegten Tiere ein. Ist dieses Ausmaß aus Ihrer Sicht noch immer zu hoch?

Prof. Arnold: Ich kenne diese Zahlen, sie waren ja die Basis unserer Studie. Zuwenig 1er Hirsche haben wir dort, wo zu stark bei den 2er Hirschen eingegriffen wurde – ein Missstand der auch in der Jägerschaft schon lange beklagt wird. Aber überschätzen wir den Einfluss des männlichen Wildes auf das Geschlechterverhältnis bei den Kälbern nicht. Damit jenes sich nicht zum weiblichen Wild hin verschiebt, muss der gesamte Bestand vor allem konsequent an die Tragfähigkeit des Lebensraums angepasst werden. Wo vermehrt weibliches Wild geboren wird, muss reduziert werden und eine nachhaltige Bestandsreduktion kann nur über den Abschuss weiblichen Wildes erreicht werden. Damit der Anteil kräftiger Tiere in der Lebensmitte, die vermehrt Hirschkälber setzen, im verminderten Bestand hoch bleibt, müssen zusätzlich zur unbedingt erforderlichen Alttierreduktion ausreichend Schmaltiere und Kälber entnommen werden.

Jagdfakten.at: Sehr geehrter Herr Prof. Arnold, herzlichen Dank für das Gespräch und dass Sie sich Zeit für uns genommen haben! Es waren sehr wertvolle Informationen, die uns das Zusammenspiel zwischen Wildbiologie, Natur und Jagd wieder etwas besser verstehen lassen.

WEITERLESEN: „Jagd Österreich“ Positionspapier – Wölfe in Österreich

UNSERE
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Bildquellen für diesen Beitrag: Jagdfakten.at/L. Molter

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