Wildtierkorridore: Welche sind die wichtigsten und was bedeuten sie?
Wildtierkorridore erlauben dem heimischen Wild, jahrhundertealte Routen zu wandern. Doch einige dieser Routen sind durch Verbauung gefährdet – oder schon geschlossen. Was bedeutet das? Und was kann dagegen getan werden? Wir klären auf.
WILDTIER-
KORRIDORE
Wir Menschen sehen es nicht wirklich – und doch: Wildtiere wandern. Oder genauer gesagt: Sie migrieren, und das ganz schön weit. Das war schon immer so. Wobei die Gründe vielfältig sind: Das kann mit der Futtersituation zu tun haben, mit den Temperaturen, mit Lärm und anderen menschlichen Aktivitäten. „Grundsätzlich migrieren Wildtiere ganzjährig“, sagt Alfred Frey-Roos, Professor am Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien.
Warum wandern
Wildtiere überhaupt?
Zusammen mit anderen namhaften Wissenschaftern publizierte er im Juni 2021 die Studie „Aktionsplan zur Lebensraumvernetzung und Verknüpfung von Wildtierkorridoren zwischen CZ und AT“ – und kennt die Thematik so gut wie die wenigsten. „Wenn man davon spricht, dass Wildtiere migrieren, meint man damit, dass sie auf sogenannten Wildtierkorridoren großräumige Strecken zurücklegen, die es seit Jahrhunderten gibt“, sagt er.
Warum das Wildtiere machen und vor allem brauchen, ist schnell erklärt: Wildwanderungen ermöglichen eine Verteilung der Tiere in unterschiedlichen Ökosystemen. Damit findet ein wichtiger Gen-Austausch unter den Wildtierpopulationen statt, die elementar sind für den Erhalt der Biodiversität.
Was bedeutet „Landschaftszerschneidung“?
Gemeint sind damit: Schnitte in der Landschaft
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Situation verändert: Fest steht, dass viele Wildtiere nicht mehr so migrieren können, wie das über Jahrhunderte der Fall war. Warum? Weil viel Natur verbaut wurde. Mit Bundesstraßen, Autobahnen, Zugstrecken, Industriekomplexen, Häusern und so weiter. In der Fachsprache nennt man so etwas treffend „Landschaftszerschneidung“.
Grünbrücken & Unterführungen
Die gute Nachricht aber lautet: Seit Mitte der 1980er-Jahre nimmt Österreich dieses Thema ernst: „Gesamteuropäisch betrachtet war Österreich sehr früh dran, beim Bau größerer Projekte, wie etwa Schnellstraßen, Gutachten zu erstellen, um sicherzustellen, dass Wild weiterhin wechseln kann, um auf den gewohnten Routen zu migrieren. Zum Beispiel durch Grünbrücken oder Unterführungen“, sagt Frey-Roos.
- Aber welche Routen gibt es konkret?
- Was wird getan, damit Wildtierkorridore weiterhin geschützt werden?
- Warum sind sie so wichtig?
- Und was spielt die Jägerschaft für eine Rolle dabei?
Die 3 wichtigsten
Wildkorridore Österreich
1. Der Alpen-Karpaten-Korridor
Die erste Migrationsroute, die laut Frey-Roos von enormer Wichtigkeit für das heimische Wild ist, ist der Alpen-Karpaten-Korridor. „Dieser verbindet die Alpen mit den Karpaten in Mittel- beziehungsweise Osteuropa, er hat also unter gesamteuropäischer Perspektive eine enorm wichtige Funktion“, sagt Frey-Roos. Zwar queren große Verkehrswege diese historische Migrationsachse: die Südost Autobahn A3, die Ost Autobahn A4 und auch die zweitlängste Autobahn der Slowakei, die Diaľnica D2. Doch in den vergangenen Jahren haben vor allem sogenannte Grünbrücken dafür gesorgt, dass der Alpen-Karpaten-Korridor im Großen und Ganzen offen ist und als Wildtierkorridor instandgehalten und von Wildtieren benutzt werden kann.
2. Die Achse zwischen Böhmerwald bzw. Bayerischen Wald und den Alpen
Als zweite wichtige Route nennt Frey-Roos die Achse zwischen dem Böhmerwald bzw. dem Bayerischen Wald und den Alpen. „Hier wird es schon etwas schwieriger“, sagt Frey-Roos, „weil dieser Korridor heute aus viel verbautem Hinterland besteht. Das bedeutet, dass es bei unseren Studien zu diesem Korridor wichtig war, die wenigen Orte, die dem migrierenden Wild noch als Nadelöhr dienen können, in die Raumplanung aufzunehmen. Denn Grünbrücken über Autobahnen oder Schnellstraßen bringen ja nichts, wenn ein paar Kilometer weiter das Hinterland völlig zu ist.“ Dass besagte Nadelöhre in die Raumplanung aufgenommen wurden, ist zwar an sich ein Erfolg. Doch folgt daraus nicht automatisch ein verbindliches Bauverbot. „Immerhin kann aber, wenn etwa der Bürgermeister eines Ortes unbedingt an einem solchen Ort etwas bauen will, das Land Druck machen, wo anders zu bauen“, so Frey-Roos. Und wie wir gleich sehen werden, kommt hier auch die Jägerschaft ins Spiel.
3. Das niederösterreichische Bergland
Eine dritte – eigentlich wichtige, aber mittlerweile sehr in Mitleidenschaft gezogene Route – ist jene beim niederösterreichischen Bergland. „Ungefähr zwischen Ybbs und Wieselburg führt sie nach Westen über Amstetten nach Salzburg“, erklärt Frey-Roos. Und fügt hinzu: „Diese Route ist aber mittlerweile so verbaut, dass großangelegte Grünbrücken dort für das Rotwild wohl auch nichts bringen werden. Eventuell könnten kleine Grünbrücken für kleinere migrierende Tiere etwas bringen, wie etwa dem Luchs oder dem Dachs. Aber diese Route ist für das Rotwild kaum mehr passierbar.“
Jäger als Botschafter vor Ort
Gerade, was solche Nadelöhre betrifft, sieht Frey-Roos – selbst leidenschaftlicher Jäger – die Jägerschaft in einer gewissen Pflicht. „Wir Jäger kennen das Wild und die Natur sehr gut, deswegen sind wir meines Erachtens schon auch gefordert, vor Ort dafür zu sorgen, dass solche Nadelöhre auch offenbleiben. Dafür müssen wir einfach im Dialog bleiben mit den entsprechenden Verantwortlichen.“ Fest steht: Lösungen, Wildkorridore intakt und offen zu halten, gibt es ausreichend. Nur müssen sie umgesetzt werden, bevor es zu spät ist. Dem Wild, aber auch uns Menschen und der Natur zuliebe.
UNSERE
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Bildquellen für diesen Beitrag: © Alfred Frey-Moos | © AdobeStock
Autor für diesen Beitrag: L. Palm / Jagdfakten.at
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