Ein in der Öffentlichkeit umstrittenes Thema ist die Winterfütterung des Wildes. Oft wird in vereinfachender Argumentation den Jägern vorgeworfen, damit den Wildbestand künstlich hoch zu halten, um mehr Abschüsse tätigen zu können. Die natürliche Selektion komme dadurch nicht zum Tragen. Dr. Miroslav Vodnansky vom Mitteleuropäischen Institut für Wildtierökologie hat die Für und Wider abgewogen, die Sachverhalte untersucht und das Fazit gezogen: Die Tiere sinnvoll jagdlich zu nutzen, statt sie im Winter in Rückzugsgebieten ohne ausreichende Nahrung qualvoll verhungern zu lassen, ist auch aus ethischer Sicht die bessere Alternative!
Wie sinnvoll ist die Winterfütterung des Rot- und Rehwildes?
In der letzten Zeit wird zunehmend darüber diskutiert, ob bestimmte Wildarten, darunter vor allem das Rot- und Rehwild, im Winter gefüttert werden sollen oder nicht. Während für die meisten Jäger die Winterfütterung als sinnvoll und in bestimmten Situationen gar unverzichtbar gilt, gibt es andererseits immer stärkere Tendenzen, die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme infrage zu stellen. Nicht selten werden Stimmen laut, die sogar deren Abschaffung oder zumindest eine starke Einschränkung auf dem legislativen Weg fordern.
Die Argumentation der Fütterungsgegner lässt sich im Wesentlichen so zusammenfassen: Die Wildtiere brauchen keine Fütterung, weil sie an den Winter gut angepasst sind. Durch die zusätzliche Futterversorgung in dieser Zeit wird die natürliche Regulation ausgeschaltet, was zu hohen Wildbeständen und folglich starken Waldschäden führt. Und die Jäger füttern das Wild ohnehin nur deshalb, damit sie überhöhte Wildbestände halten und starke Trophäen erzielen können. Solche Behauptungen mögen zwar den mit dieser Problematik wenig vertrauten Menschen plausibel erscheinen, doch aus fachlicher Sicht kann man ihnen mit stichhaltigen Argumenten leicht entgegenhalten.
Wildtier sind an den Winter gut angepasst, aber sie können ihre Überwinterungsstandorte nicht frei wählen.
Selbstverständlich sind die Wildtiere an den Winter gut angepasst, und es gäbe keinen objektiven Bedarf der Winterfütterung, wenn sie die Möglichkeiten hätten, ihre Überwinterungsstandorte frei zu wählen und dort die verfügbare Nahrung unbeschränkt aufzunehmen, so wie es ihren natürlichen Bedürfnissen entspricht. Gerade das ist aber bei bestimmten Wildarten in der von Menschen intensiv genutzten Kulturlandschaft entweder nicht möglich oder nicht erwünscht.
Das trifft insbesondere beim Rotwild zu. Diese Wildart kann in der Regel den Winter nicht dort verbringen, wo sie es unter natürlichen Bedingungen tun würde. Es sind die klimatisch günstigeren Lagen, Täler und Flusslandschaften, die entweder für das Rotwild aufgrund der menschlichen Besiedelung gar nicht mehr zugänglich sind oder von denen dieses womöglich ferngehalten werden soll, weil dort sein Aufenthalt aufgrund der starken Schadensanfälligkeit des Waldes ein großes Schadensrisiko bedeuten würde. Stattdessen soll sich das Rotwild im Winter nur dort aufhalten, wo es weniger Schaden anrichten kann.
In den höher gelegenen Überwinterungsstandorten ist das Nahrungsangebot bis in den späten Frühling extrem begrenzt.
In der Alpenregion sind das in der Regel die höher gelegenen Standorte, in denen jedoch das natürlich verfügbare Nahrungsangebot für die Tiere aufgrund der hohen Schneedecke meist bis in den sehr späten Frühling extrem beschränkt ist. In solchen von Menschen herbeigeführten unnatürlichen Situationen ist die Winterfütterung oft tatsächlich unentbehrlich. Sie hat grundsätzlich zwei Funktionen: Zu einem wird das Rotwild durch die Futtervorlagen zu den wenig schadensanfälligen Standorten räumlich gelenkt (Lenkungsfunktion) und zu anderem wird ihm in diesen von Menschen ausgewiesenen Überwinterungsräumen die mangelnde Naturnahrung ersetzt (Versorgungsfunktion).
Das hat mit den überhöhten Rotwildbeständen und einem vermeintlichen Trophäenkult vom Grundsatz her nichts zu tun. Sind die Rotwildbestände in bestimmten Gebieten viel zu hoch, sodass die schadensabhängige Tragfähigkeit des Lebensraums überschritten wird, ist dafür nicht die Winterfütterung verantwortlich, sondern ausschließlich eine unzureichende oder falsch durchgeführte jagdliche Regulierung. Dazu ist anzumerken, dass das Rotwild in der Lage ist, selbst in einer geringen Stückzahl in einem schadensanfälligen Wald einen großen Schaden zu verursachen, wenn es aufgrund der starken Beunruhigung durch Menschen die ganze Zeit nur in den nahrungsarmen Dickichten des jungen Wirtschaftswaldes verbleiben muss und auf die freien Äsungsflächen allenfalls nachts austreten kann.
Für überhöhte Wildbestände ist nicht die Winterfütterung, sondern falsche jagdliche Regulierung verantwortlich.
Somit stellt die Winterfütterung sehr wohl eine wirksame Maßnahme gegen Wildschäden dar. Eine Voraussetzung dafür ist jedoch ihre richtige Durchführung Das gilt nicht nur beim Rotwild, sondern erwiesenermaßen ebenso beim Rehwild. Bei diesem kann die Fütterung selbst in den tieferen Lagen mit milden Wintern sinnvoll sein, wenn zum Beispiel die Rehe sich wegen des besseren Klima- und Sichtschutzes verstärkt in den Waldeinständen aufhalten, obwohl sie auf den naheliegenden Feldern und Wiesen ausreichend Äsung zur Verfügung haben.
Wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigten (*), kann ein einziges Reh im Winter täglich bis über 1.400 g Knospen und Triebe aufnehmen, sofern es keine andere geschmacklich attraktive Nahrung hat. Haben die Rehe die Möglichkeit, einen bestimmten Teil ihres täglichen Nahrungsbedarfs durch Aufnahme von geeignetem Futter an richtig gewählten Fütterungsstandorten zu decken, wird damit der Verbiss entsprechend vermindert. Nur eine falsch durchgeführte Fütterung, insbesondere bei ungeeigneten Fütterungsstandorten, falscher Futterwahl sowie unzureichenden und unregelmäßigen Futtervorlagen hat negative Auswirkungen auf das Wild selbst und den Lebensraum.
Das von den Fütterungsgegnern oft eingebrachte Argument, dass die Winterfütterung zu überhöhten Rehbeständen führt, trifft nicht zu. Die verbesserte Nahrungsversorgungssituation der Rehe im Winter kann zwar ihre Vermehrung etwas begünstigen, den wirklich entscheidenden Einfluss auf die Höhe der Rehbestände haben jedoch die Lebensbedingungen während der Vegetationsperiode und die jagdliche Regulation. Das Rehwild ist ein Kulturfolger, dem die von Menschen geschaffene strukturreiche Kulturlandschaft mit einem meist sehr hohen Angebot an geeigneter Nahrung und Deckung während der Vegetationsperiode sehr günstige, oft sogar hervorragende Lebensbedingungen bietet. Sein Populationszuwachs ist in erster Linie von der Nahrungssituation während des Frühjahrs und im Sommer ausschlaggebend. Erst wenn sich die Bestandshöhe den Grenzen der biologischen (nicht der schadensabhängigen) Lebensraumtragfähigkeit nähert, werden die natürlichen Regulationsfaktoren, wie z. B. Platzmangel, Nahrungsknappheit und Krankheiten, zunehmend wirksam. Das Überschreiten der meist wesentlich niedriger liegenden schadensabhängigen Lebensraumkapazität kann man nur mit einer ausreichenden Bejagung verhindern. Gibt es also in Bezug auf die Schadensituation überhöhte Rehbestände, ist es nicht auf die Winterfütterung zurückzuführen, sondern ebenso wie beim Rotwild ausschließlich auf die unzureichende oder falsch durchgeführte jagdliche Regulierung.
Winterfütterung als Mittel gegen Wildschaden und jagdliche Nutzung ist ist aus ethischer und wirtschaftlicher Sicht die bessere Alternative zum Verhungern und elendiglich zugrunde gehen lassen.
Daraus ergibt sich eine eindeutige Schlussfolgerung: Weder das Rotwild noch das Rehwild müssten gefüttert werden, hätten sie eine freie Wahl der Aufenthaltsräume und wäre bei den Menschen eine ausreichende Bereitschaft zum Tolerieren von Wildschäden gegeben. Die Behauptungen, dass die Bestände dieser Wildarten sich ohne Fütterung durch das verringerte Nahrungsangebot im Winter selbst regulieren würden, bedeutet nichts anderes als den Hungertod der Tiere und dazu vorher noch hohe Schäden zu akzeptieren. Der Schaden würde ja entstehen, bevor die überzähligen Tiere verhungern. Diese Tatsache wird meist in der Diskussion um die Fütterungen total ausgeblendet.
Die Jagd ist eine legitime und mit dem Grundbesitz verbundene Form der Naturnutzung, und deshalb sind die jagdlichen Entnahmen die einzig sinnvolle Möglichkeit der Abschöpfung des natürlichen Populationszuwachses der Wildtiere. Die Alternative wäre, sie verhungern zu lassen. Außerdem ist das auch ethisch richtig, da die erlegten Tiere den Menschen auf diese Weise als wertvolle Nahrung dienen können und gleichzeitig beim Tod durch den Schuss bei weitem nicht so leiden müssen wie beim durch Hunger und körperliche Erschöpfung verursachten Sterben. Das ist ein wichtiges ethisches Argument für die Jagd: Eine sinnvolle Nutzung der Wildbestände und gleichzeitig die Verringerung des Leidens der Tiere ist doch die bessere Alternative zur natürlichen Regulation!
(*) Artikel: Vodnansky, M. et al. (2004); Rehwild: Verbiss bei unterschiedlicher Fütterung, Österreichs Weidwerk, 3, 12-14.
Artikel aus Weidwerk zum Nachlesen
Mit freundlicher Genehmigung des Jagdmagazins WEIDWERK
Dr. Miroslav Vodnansky
Geboren am 28.3.1958 in Tábor (Tschechien), Veterinärmedizinisches Studium in Brünn mit Promotion 1982, danach wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Jagd und Forstwirtschaft in Prag. 1984 Nostrifikation an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, 1985 bis 1997 wissenschaftlicher Assistent am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
1997 Errichtung der Internationalen Forschungsstelle für Wildtierernährung und Wildtierökologie in Nitra in der Slowakei. Von 1999 bis 2014 Leitung des damals neu gegründeten Instituts für Wildtierökologie an der Veterinärmedizinischen und Pharmazeutischen Universität in Brünn. Seit 2003 Vorstandsvorsitzender des grenzüberschreitend wirkenden Mitteleuropäischen Instituts für Wildtierökologie mit dem Hauptsitz in Brünn und Standorten in Wien und Nitra.
Herausgeber von mehreren Büchern und Autor von mehr als 500 Fachartikeln auf dem Gebiet der Wildökologie und Wildbewirtschaftung.