Wildschwein im Klimawandel: Jagdfakten.at informiert über Erkenntnisse des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI)

Wild im Wandel –
Wie das Wildschwein mit dem Klimawandel fertig wird

Wildschweine finden wir in beinahe allen Winkeln der Erde. Doch wie kommen sie mit den rasant steigenden Temperaturen zurecht? Ist der Klimawandel gar ein Grund ihrer phänomenalen Ausbreitung über die Kontinente? Forscherinnen und Forscher gehen dem Wildschwein buchstäblich unter die Haut und entdecken bemerkenswerte Überlebensstrategien der Tiere.

WILDSCHWEIN
IM KLIMAWANDEL

Am FIWI, dem Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Veterinärmedizinischen Universität Wien, arbeiten Forschende mit physiologischen Studien im Freiland. Das heißt: Spezialisierte Tierärzte und -Ärztinnen versehen Wildtiere direkt mit Datenloggern. Diese kleinen Geräte sind groß wie eine Fingerspitze, können die Temperatur in 12 Minuten-Intervallen messen und diese Daten über ein Jahr aufzeichnen.

„Nicht immer kann das Mausmodell im Labor offene Fragen beantworten, denn wenn es darum geht, den Energiehaushalt eines Wildtiers zu untersuchen, muss man auch mit dieser Tierart arbeiten,“ erklärt Univ.-Prof. Dr. Claudia Bieber, Leiterin des Institutes die Forschungsmethode. „Durch die sehr gute Kooperation mit heimischen Jägerinnen und Grundbesitzern sind wir in der glücklichen Lage, diese Freilandstudien durchführen zu können.“

Extremkörper
Wildschwein

Wie gesagt, Schweine gibt es beinahe überall. Der einzige Kontinent, den Schweinearten nicht erobert haben, ist die Antarktis. Das ist neben Menschen und den Kulturfolgern Ratte und Hausmaus einzigartig. Die Vorfahren der heutigen Wildschweine stammen allerdings aus warmen Arealen, nämlich den tropischen Inseln Asiens. Wie verkraften sie also die extreme Kälte und Schwankungen in unseren Breitengraden?

Misst man die Herzfrequenz, so bekommt man ein gutes Bild davon, wann das Klima unangenehm für das Tier wird. Ist es sehr kalt, muss der Stoffwechsel angeheizt werden, damit das Tier nicht unterkühlt. Wird es warm, muss der Körper abgekühlt werden. Frieren und Schwitzen kostet also Energie. Zwischen diesen Extremen liegt die sogenannte thermoneutrale Zone. Hier fühlt sich das Tier wohl, es ist ihm weder zu kalt noch zu warm.

Welche Temperaturen erhöhen den Energieverbrauch?

 

Die Forschungen des FIWI lassen erkennen, ab welchen Temperaturen das Wildschwein einen erhöhten Energieverbrauch hat:

  • Dies ist im Winter unterhalb von 0°C und oberhalb von 7°C der Fall.
  • Im Sommer befinden sich diese Grenzen bei 6°C und 24°C. Wird es wärmer, muss gekühlt werden.

Einziges Problem: Das Wildschwein kann nicht schwitzen.
Doch es hat eine Lösung dafür gefunden, erklärt Univ.-Prof. Dr. Bieber: „Wird es nicht durch Schweiß nass, muss es halt in die Suhle, um nass zu werden. Auch diese Technik kühlt ab. Woher die Nässe kommt, ist egal, Hauptsache nass, damit auch die Verdunstungskälte zum Tragen kommt. Daraus ergibt sich aber auch, dass Wasser für die Tiere im Sommer wichtig ist.“

Winter für Wildschweine ein geringeres Problem

Auch die winterlichen Temperaturen stellen für den Wildschweinkörper ein weit geringeres Problem da, als man vermuten würde.  Im Vergleich zu anderen Tierarten zeigt sich beim Wildschwein ein besonderes Phänomen: Selbst, wenn die Außentemperaturen ober- oder unterhalb der thermoneutralen, also der „Wohlfühlzone“ liegen, steigt die Herzfrequenz nur gering.  Das bedeutet, dass auch der Energieverbrauch in diesen Bereichen nicht sehr hoch ist.

Im Winter betrug der Anstieg der Herzfrequenz unterhalb der thermoneutralen Zone je 10°C weniger als 30%. „Dieser verhältnismäßig geringe Wert positioniert das Wildschein im Leistungsbereich von arktischen Tieren wie dem Eisbären. Für ein ursprünglich tropisches Tier ist das eine phänomenale Leistung,“ erklärt Uni.-Prof. Dr. Bieber.

Wildschwein profitiert von
Körpergröße & Form

Auch die Körpergröße spielt hier eine Rolle, denn große Säugetiere haben ein anderes Verhältnis von Körperschale zu Körperkern, also weniger Außenfläche im Verhältnis zum Körperinneren. Ebenso wirkt sich die „rundliche“ Form des Wildschweins hier positiv aus. Tatsächlich sind Wildschweine in nördlichen Verbreitungsgebieten Europas 30-40 kg schwerer als ihre Artgenossen in südlichen Teilen. Ebenso wirkt sich die „rundliche“ Form des Wildschweins hier positiv aus. Diese hilft ihnen dabei in kalten Zonen die Körperwärme besser zu erhalten. Natürlich spielt auch die dicke Schwarte im Winter eine große Rolle.

Ausgemessene Daten lassen außerdem eine weitere Strategie der Schweine zur Temperaturregulierung erkennen: Eine Flexibilität der Kerntemperatur, also des Körperinneren, wie Forscherinnen und Forscher es sonst von Wüstentieren kennen: Wildschweine erlauben eine tägliche Schwankung von 1-2°C um die mittlere Körpertemperatur (ca. 39°C). Dies schafft einen Energiepuffer.

Weiters kann die Körperschale (Haut und Unterhautfett) sozusagen vom Körperkern abgekoppelt werden, ein Mechanismus den auch Tiere in gemäßigten und kalten Lebensräumen zeigen. Durch eine Verringerung der Durchblutung in der Körperschale kann diese weit tiefer abkühlen als der Körperkern. Im Optimalfall kann ein Sonnenbad am Morgen das Tier dann wieder passiv aufwärmen.

Schwein gehabt

„Als Fazit konnten wir nachweisen, dass Wildschweine über verschiedene Strategien verfügen, die es ihnen ermöglichen, in praktisch jeder Klimazone zu überleben,“ summiert Univ.-Prof. Dr. Bieber die Forschungsergebnisse. Durch die vom FIWI durchgeführte Studie im Freiland konnte außerdem nachgewiesen werden, dass sich Wildschweine nicht wegen, sondern trotz dem Klimawandel über die Kontinente verbreitet haben und etwa Futterquellen einen weit größeren Einfluss auf ihre Entwicklung und Vermehrung haben. Denn: Kaum ein Klima kann ihnen was. Solange es die Verfügbarkeit von Wasser und Nahrung nicht negativ beeinflusst, versteht sich.

UNSERE
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Bildquellen für diesen Beitrag: © Pixabay
Autor für diesen Beitrag: Claudia Bieber, Thomas Ruf / FIWI

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